Der Innenraum des SO36 nach einem Konzert, Berlin 1980 (Ausschnitt)
Foto: © Anno Dittmer
Nach einem überraschenden und sehr befreienden Schlüsselerlebnis im Berliner Risiko begann ich im Sommer 1981 mein Uni-Examen zu vertagen, um für die nächsten zehn Jahre die wesentlich interessantere Berliner Subkulturszene zu verfolgen und sie mit meiner Kamera in S/W-Fotos festzuhalten. Für die visuelle Umsetzung waren nicht nur die Experimente der Musiker und sonstigen Künstler das Thema, die Fotogenität der Szene-Treffpunkte spielte ebenso eine wichtige Rolle.
Der Berliner Underground dieser Zeit interessierte seinerzeit alle Welt. Meine Fotos waren begehrt und wurden in Zeitschriften, Fanzines und auf Plattencovern gedruckt. Oft ohne Bezahlung, doch das Leben in der geteilten Stadt war billig.
Geld verdienen konnte ich bis Ende der Achtziger Jahre durch Katalog-Fotografie und fotografische Dokumentationen. Das Berliner Künstlerprogramm des DAAD (unter dem Beuys-Entdecker René Block) und das Künstlerhaus Bethanien waren regelmäßige Auftraggeber. Dazu kam der Aufbau von Ausstellungen und die Begegnung mit vielen internationalen Künstlern. Der Alltag bestand aus Experimenten und Überraschungen. (Viele Dokumente aus dieser Zeit sind noch zu digitalisieren.)
Als Berlin-Korrespondent der italienischen Kult-Zeitschrift Frigidaire öffneten sich mir die Türen von den Alpen bis nach Sizilien. Da man die spektakulären Fotos kannte, genoss ich einen guten Ruf und war auf Reisen überall willkommen.
Um meine eigenen musikalischen Vorstellungen zu realisieren, suchte ich 1983 Mädels für einen Damenchor, um diesen mit meiner elektronisch verstärkten Geige zu begleiten. Die Idee war, mit hochfrequenten Stimmen und Klängen feine und schrill anmutende Kompositionen zu erzeugen. Von den Sängerinnen übrig blieb schließlich Cassia Haecker. Unsere kongeniale Zusammenarbeit mündete in der Musikgruppe Manna Maschine. Mit originellen Songs (die Texte lagen buchstäblich auf der Straße), Cassias unerschrockener Bühnenpräsenz und der Sprengung jeder musikalischen Konvention verstörten und polarisierten wir unser Publikum. Blixa Bargeld wollte unser Produzent werden, wir wurden im In- und Ausland zu Konzerten eingeladen. Viel zu früh verabschiedete sich Cassia 1986 aus dem Leben, ihre Freunde konnten es nicht verhindern.
Im Jahr 2000 eröffnete ich Faceland, Berlins erstes digitales Portraitstudio, sowie die Faceland-Galerie in der City-West, die bis heute bestehen. Das Uni-Examen habe ich nie nachgeholt.
© Anno Dittmer, 2020